Die „Big Five“ sichern die Zukunft – Safaris im unentdeckten Süden Tansanias
Das grüne Dickicht ist dicht wie eine Wand. Kitoi rast mit dem Jeep in flottem Tempo an ihr vorbei. Plötzlich stoppt er. Wir starren gebannt in die Richtung, in die auch Kitoi starrt. Nichts zu sehen. Auf einmal öffnet sich der Blätterwald und der graue Kopf eines ausgewachsenen Elefanten bricht hervor. Fassungsloses Entsetzen auf beiden Seiten. Dann löst der Dickhäuter unter seinen Füßen ein Erdbeben aus, stampft, dreht sich um 180 Grad und galoppiert zurück in den Busch. Ein Rendezvous von Sekunden.
Guides brauchen im Selous Game Reserve einen siebten Sinn. Zwei Drittel des südtansanischen Wildreservats, das mit 50 000 Quadratkilometern das weltweit größte ist, bestehen aus zugewachsenem Miombo-Wald. Da sind Jägerqualitäten gefragt. Sonst läuft einem kaum ein Tier vor das Objektiv. Es sei denn, ein träumender Elefant, und das hätte auch schief gehen können.
Die Lebensader des Selous ist der Rufiji River, mit 800 Kilometer Länge für afrikanische Verhältnisse ein eher kleiner Fluss. Unser Camp liegt auf einem Hochufer über dem breiten Strom, der zähflüssig vorüber fließt. „Für den Rufiji habe ich meine Boutique in Bologna aufgegeben“, bekennt Luigi Bisognin, und es klingt, als wäre aus dem Gefängnis entwischt. Vor zehn Jahren baute der 61 Jährige das Rufiji River Camp auf. Nicht eben luxuriös, doch mit Warmwasserdusche, Spültoilette und Moskitonetz verfügen die Wohnzelte über einigen Komfort. Abends an der Bar erzählt er mit einer Mischung aus Stolz und Ehrfurcht, dass am Vorabend zwei Löwen durchs offene Camp marschiert sind. „Typisches Afrika-Latein“, raunt jemand. Doch am nächsten Morgen sind die Spuren noch gut zu erkennen.
Aufwachen mit Flusspferdgrunzen, einer undefinierbaren Mischung aus Schiffssirene, Eselgeschrei und Lachsack. Ein zuverlässiger Weckdienst. Es ist 7 Uhr, 75 Prozent Luftfeuchtigkeit und 22 Grad. Wenig später macht nur noch der frische Luftzug bei der Flusssafari die Hitze erträglich.
Mehr als 20 000 Hippos leben am Rufiji. Die meisten liegen darin wie blanke Granitfelsen. In der Uferböschung klemmen Monitorechsen. Goliath-Reiher, Störche und Pelikane auf Sandbänken, Fischadler auf Baumkronen. Am Ufer dösen Krokos, die hektisch ins Wasser rennen, sobald sich das knatternde Boot nähert. Je größer die Fluchtdistanz der Tiere, desto unbekannter ist ihnen der Mensch. Deshalb ist die Pirsch im Selous eher unbeliebt; die Tiere fliehen, ehe wir sie erahnen. Doch so kommt man ganz nah ran an die Wildnis, erklärt Kitoi, der den Walk am nächsten Tag wieder führt.
Der 25jährige Massai hat in Arusha Tourismus studiert und arbeitet seit vier Jahren für Luigi. Sein Englisch ist perfekt. Er deutet Fußspuren im Sand, bestimmt den Kot, erklärt den Nestbau der Webervögel und Termitenhügel. Doch außer ein paar Giraffen, Marabus, einer Hyäne und einem Affen verbirgt der Urwald seine Bewohner.
„Die offizielle Legitimation unserer Regierung für so viel Wildparkfläche ist der Naturschutz“, erklärt Kitoi. Die Jagd wird erlaubt, weil sie angeblich das Gleichgewicht in der Tierwelt erhält. Doch diese Argumentation überzeugt Kitoi nicht. „Bevor der Mensch in die Natur eingriff, hat die Tierwelt den Bestand selber geregelt.“ Heute übernehmen das Jäger, weil es dem Staat enorme Einnahmen bringt. „Richtig ist, dass wir arm sind und Geld brauchen. Aber die Jagd sollte nicht als Naturschutz hingestellt werden.“
Vom Überleben der Tierwelt, das hatte bereits 1967 Tansanias erster Präsident Julius Nyerere verkündet, wird der Wohlstand der Zukunft abhängen. Tansania, eines der ärmsten Länder der Welt, ist das einzige Land, das mehr als ein Viertel seines Territoriums als Schutzzone ausgewiesen hat, insgesamt zwölf Nationalparks, siebzehn Wildreservate und 50 kontrollierte Gebiete. Inzwischen kommen jährlich rund 650 000 Touristen, gut vier Prozent aus Deutschland. Nur ein kleiner Teil des Selous ist für Fotosafaris reserviert. Das größere Geschäft macht die Regierung mit den Jagdlizenzen.
Während ein Safaritourist nur rund 1000 Dollar im Lande lässt, gibt dagegen ein Großwildjäger gut das Zehnfache aus. Die staatliche Abschussprämie für einen Elefanten liegt bei 4.000 Dollar, Löwe oder Leopard bringen je 2.000 Dollar in die Staatskasse. Zum großen Unmut der im Wildpark lebenden Stämme müssen selbst diese eine, wenn auch billige Lizenz erstehen. Wer jagt und nicht zahlt, landet im Gefängnis.
Luigi sitzt da, wo er jeden Abend sitzt: an der Bar. Er raucht, was in der Werbung alle freiheitsliebenden Männer rauchen. Seinen Platz verlässt er nur, um seinen Gästen einen Drink zu bringen oder einen Blick auf den Fluss zu werfen. Die Nacht ist rabenschwarz, und der Südhimmel hängt wie ein Weihnachtsbaum voller Sterne. „Der Rufiji bedeutet Segen und Fluch“, meint Luigi. „Er bringt Touristen, reißt aber auch jedes Jahr ein Stück des Ufers mit weg.“ Das Camp musste er schon einmal verlegen, aber ans Fortgehen denkt er nicht. „Afrika lässt einen nicht wieder los“, sagt Luigi.
Szenenwechsel. Giraffen, Elefanten und Zebras stehen wie bestellt beisammen, eine Handvoll Wölkchen, ein mächtiger Baobabbaum mittendrin. Zu allem Überfluss zieht sich der Sonnenball hinter eine Hügelkette zurück, schlägt einen Farbenfächer von Blutrot über Bernstein bis Gelbgold und lodert weit in die Steppe hinein. Aufgeregt greifen alle zur Kamera – klack, klack, klack. Diese Silhouette ist die Sternstunde für Safarireisende. Freigebig stellt der Ruaha Nationalpark im südlichen Hochland Tansanias seine Schätze zur Schau.
Der Kontrast ist perfekt. „Jambo!“ – hallo! - begrüßt Sarah Fox gutgelaunt die Neuankömmlinge auf dem sandigen Landeplatz mitten im Wildgebiet. Ein besseres Empfangskommitee für ihre Gäste kann sie sich nicht wünschen. Braungebrannt, blond und im legeren Safari-Look wirkt die junge Engländerin wie eine Nachfahrin aus der 1961 beendeten Kolonialzeit. „Ruaha ist einer der wild- und artenreichsten Naturparks in Afrika“, sagt sie lässig und fährt los. „Die Serengeti hat zwar mehr Tiere, aber weniger Arten.“
In der linken Hand das piepende Funkgerät, mit rechts lenkt sie den Landrover behutsam durchs Gelände. Das satte, dichte Grün des Selous ist verblasst. Ruaha protzt mit Gelb- und Grautönen, trockenen Schirmakazien, ausgedörrten Gräsern, verholzten Sträuchern und russschwarzen Stöcken. Auch hier ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Die staatlichen Entwicklungspläne für den Süden haben noch keine zweite Serengeti bewirkt, obwohl seit der Imagekrise Kenias deutlich mehr Touristen nach Tansania kommen, auch in den Süden.
Doch nirgendwo ein Jeep, keine asphaltierten Straßen, kein Schlagbaum, an dem Besucher abgezählt würden. Impalas springen im Zickzack. Dikdiks flitzen aufgescheucht durchs Unterholz. Giraffen knabbern an einer Akazie. Am Fluss grast seelenruhig eine Riesenherde Zebras. Dies muss eines der letzten Paradiese Afrikas sein.
Die Ruaha River Lodge, die Sarah und ihr Mann Peter betreiben, liegt am gleichnamigen Fluss auf einem Felsen. Eines von fünf Camps im Ruaha Nationalpark, der mit 13 000 Quadratkilometern Tansanias zweitgrößter ist. Peters Vater baute die Logde 1982 auf, weil seine Teeplantage nicht mehr genügend abwarf. Damals kamen rund 50 Gäste im Jahr, heute sind es rund 5000.
Die rustikalen Bandas, wie die Hütten heißen, bestehen aus rohen Steinquadern mit Dächern aus Stroh, jede mit Dusche und WC - mehr Komfort gibt es nicht. Im unentdeckten Südtansania ist man nicht auf Gäste eingestellt, die Champagner und Kaviar brauchen. „It’s tea-time, girls!“ flötet der schwarze Kellner, der Tee und zwei Butterkekse auf dem hölzernen Klapptisch vor der Banda serviert. Es ist kurz nach sechs, die beste Zeit, um Wildtiere zu sehen. Guide Francis und der Fahrer Ayubu laden zum „Drive“ ein.
Beim Verlassen des Camps warnt ein Hinweisschild: „Animals are dangerous. Take no liberties with them!“ – Wildtiere sind gefährlich. „Manche Europäer finden unsere Katzen plötzlich so süß wie ihre eigenen“, erklärt Francis den Hinweis. Den Giraffen gehören sofort alle Sympathien. Mit der Grandezza des tansanischen Wappentiers stolzieren die Langhälse umher. Natürlich stellt Francis die Fangfrage: „Wie viele Halswirbel hat die Giraffe?“ - Sieben, nicht mehr als der Mensch. Ayubu fährt im Schritttempo abseits der Sandpisten durch Gestrüpp und Steine. Francis lauert mit Raubtieraugen den Wildtieren auf. „Kudus“, ruft Francis und zeigt in den Busch hinein. Während sein Arm vom Zeigen schon lahm ist, sucht das untrainierte Auge die schiefergrau-sandbraune Landschaft wie im Suchbild nach den famos getarnten Streifenantilopen ab. Nach den Elefanten zeigen sich am zweiten Tag drei der übrigen „Big Five“.
Ein mächtiger schwarzer Kaffernbüffel an einer Wasserstelle. Dann macht Francis eine Löwenfamilie aus. Ayubu pirscht sich mit dem Rover bis auf wenige Meter heran und stellt den Motor ab. Wie zwei eitle Diven liegen Mutter und Tochter auf dem hohen Steinklotz und lassen sich wohlgefällig von allen Seiten, vom Taztenheben bis Naserümpfen, ablichten. „Solange Ihr im Wagen bleibt, tun sie nichts“, beruhigt Francis aufkeimendes Herzklopfen.
Nur Büffel, Elefanten und Nashörner stürzen einen Jeep locker um. „Rhinozerosse stellen jedoch keine Gefahr mehr dar“, sagt Ayubu bitter. „Wilderer haben sie so gut wie ausgerottet.“ In ganz Tansania leben nur noch 17 Spitzmaulnashörner. „Nur der Hunger treibt Wildtiere zur Jagd, nie das Besitzstreben. Unter Tieren gelten Respekt und faire Waffen.“ Mitten in der Wildnis stehen wir plötzlich vor den elementaren Fragen der Zivilisation.
Abends im Camp treffen sich alle oben in der Felsen-Bar. Safarigeschichten werden ausgetauscht, alle klingen wie Eroberungen. Peter Fox ist den biblischen Frieden, der im Ruaha Nationalpark noch herrscht, froh. Die meisten Touristen klappern Tansanias Norden ab, die Serengeti, den Kilimajaro und den Victoria See. Die Serengeti, flächenmäßig kaum größer als Ruaha, zählt jährlich rund 45.000 Besucher, Ruaha nicht einmal ein Zehntel. Verständlich, dass sich der Camp-Chef mehr Tourismus wünscht. „Der Parkbetrieb kostet rund 700.000 Dollar im Jahr“, rechnet Peter vor. „Umgerechnet bräuchten wir jährlich 15.000 Gäste, um den Parkfrieden und den Schutzauftrag zu gewährleisten.“
Als die Sonne untergeht, gerät auch Peter ins Schwärmen: “Dieses Leben ohne Uhr, das sich einfach nach der Natur richtet, und dieses einmalige Abendrot, das macht süchtig.“ Als Finale dieses grandiosen Tages sehen wir gerade noch, wie sich auf der Spitze einer benachbarten Berggruppe der gescheckte Kopf eines Leoparden zurückzieht.
Rheinischer Merkur
© Beate Schümann
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