Katia Guerreiro 
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9. Der Lisboa-Blues

Der poetische Traditionsgesang Fado verzaubert die Nachtwelt der portugiesischen Hauptstadt, die zu den Trendmetropolen Europas zählt. Junge Sängerinnen wie Katia Guerreiro schenken dem gefühlvollen Lied von Liebe und Schicksal ein neues schönes Gesicht.

Einer dimmt das Licht, der Raum wird dunkel, das Stim­mengewirr verstummt. Drei Musiker schlängeln sich durch die Tischreihen und nehmen mit ihren Instrumenten unter einem Gewölbebogen Platz, eine Fadosängerin zieht ihren schwarzen Schulterschal zurecht und wartet auf die ersten Klänge der Gitarren. Dann legt sie den Kopf in den Nacken und hebt ihre Klage an, pathetisch und herrlich traurig – Fado, der Lissabon-Blues.

In einem solchen Lokal habe sie auch einmal angefangen, lacht Katia Guerreiro, 30, vor dem Theater São Luís. Sie liebt die renommierte Bühne Lissabons, hier gab sie viele Konzerte. Katia Guerreiro, studierte Medizinerin, gehört zu einer der neuen Generation von Künstlerinnen, die den Traditionsgesang der Portugiesen mit neuem Leben erfüllen. Joana Amendoeira, Mariza, Ana Moura, Cristina Branco, Mísia oder Mafalda Arnauth – sie verzaubern Lissabon mit Poesie und starken Gefühlen, lieblichem Schmerz und schmerzender Liebe.

Im Fado – herrührend von fatum, dem lateinischen Wort für Schicksal – ist Portugals unbeschreibbare Seele am besten zu spüren, er singt von Lieb und Tod, Fröhlichkeit und Trauer, Trennung und Vereinigung. Stets ist mit ihm die saudade verbunden, jenes wehmütige Grundgefühl, das oft unzureichend als vage Sehnsucht der Portugiesen nach der vergangenen Größe des einstigen Weltreiches heldenhafter Seefahrer beschrieben wird.

Dabei wohnt der saudade auch immer die Hoffnung auf Glück inne, auf Befreiung von einem Dasein in Bedeutungslosigkeit. Fado ist Poesie, und ihre jungen Sängerinnen schenken dem Publikum einige der bewegendsten Liebesgedichte der Gegenwart.

Amália Rodrigues ist ihr Vorbild, die legendäre Fadista, die schöner als alle anderen Schmerz, Schicksal und Sehnsucht in ihre Stimme legen konnte. Als sie 1999 starb, fürchteten viele, mit ihr sterbe auch der Fado. Stattdessen ist er moderner geworden, fesselnder für ein junges Publikum, das zugleich vielleicht dem Hiphop oder Techno, den Boygroups oder Girlie-Bands huldigt.  Fado-Star Mariza: „Ich beobachte, dass sich vor allem viele junge Leute für diese Musik interessieren, und auch für die Kultur, die der Fado mit sich bringt.“

„Neu ist heute, dass wir Amálias Fado weiterentwickeln“, sagt Katia Guerreiro, „nichts anderes.“ Junge Musiker frischen alte Melodien auf, zur zwölfsaitigen Guitarra Portuguesa kommt plötzlich ein Kontrabass hinzu, mal ein Klavier oder eine Flöte. Experimentelles wurde früher nicht gewagt. Jetzt stammen die Texte oft von zeitgenössischen Literaten wie Sophia de Mello Breyner, António Lobo Antunes oder Lídia Jorge. Ana Moura, die zu den aufstrebenden Stars des Genre gehört, beschreibt die Wechselwirkung zwischen Tradition und Erneuerung: „Wir können nicht die alten Fado-Lieder singen, da sie nicht aus unserer Zeit stammen. Im Fado geht es nur um Gefühle, und wir müssen unsere heutigen Gefühle ausdrücken. Nur so bleibt der Fado lebendig, und nur so ehren wir seine Tradition.“ Und Katia Guerreiro bringt es kurz und bündig auf den Punkt: „Neue Medien, neues Publikum.“

Wenn sie nicht vor dem Mikro steht, ist nichts an Katia Guerreiro pathetisch, melancholisch, gar traurig. Sie ist unkompliziert und optimistisch, heiter und lebensfroh, ihren schicken Designer-Blazer hat Carlos Gil geschneidert, der auch Kleider für die Präsidentengattin Maria Cavaco Silva entwirft. „Die alten Repertoires haben mit dem modernen Menschen nichts mehr zu tun“, sinniert die Sängerin unter dem von Tauben bevölkerten Denkmal des portugiesischen Nationaldichters Luís de Camões, der unweit vom Theater hinunterblickt auf das quirlige Leben der Altstadt und die schicke Shoppingmeile Rua Garrett. „Trotzdem brauchen wir Poesie, auch die von Camões.“

Hinter der Ruine der Carmo-Kirche, die das Erdbeben von 1755 zerstört hat, lehnt Katia Guerreiro an der Brüstung der Aussichtsterrasse, blickt über das Häusermeer zum gegenüberliegenden Hügel mit der Burg São Jorge und forscht nach einer Begründung, wieso fast gleichzeitig mit der Rückkehr des Klagelieds Lissabon zur hippesten Partyszene Europas aufstieg.

Unten am Tejoufer, zwischen dem Vorort Belém und dem ehemaligen EXPO-Gelände Parque das Nações, etablierte sich auf gut fünfzehn Kilometern ein Neondistrikt mit zig Discos, Clubs, Bars, Restaurants und Cafés, das schrillste Szeneviertel der Stadt. „Die Globalisierung hat unser Land verändert“, analysiert Katia Guerreiro, „sie zwingt die Menschen in einen Rhythmus, der Gefühle verdrängt, ja fast verbietet. Fado hilft, diese Gefühle zurückzuholen. Er erlaubt innezuhalten, nachzudenken und gibt uns Hoffnung.“ Und das klingt dann doch etwas melancholisch.

Die Alfama muss schon im 19. Jahrhundert so ausgesehen haben. Enge Gassen, in denen sich die uralte Tram der Linie „28“ durch die Häuserfront zwängt. Auf den schmalen Gehsteigen Obst- und Gemüseauslagen der Händler, unter den Fenstern trocknende Wäsche. In diesen hafennahen Vierteln Alfama, Mouraria, Bairro Alto und Madragoa kam einst der Fado auf, hier ist er noch immer Zuhause. Quartiere mit schummerigen Kneipen, in denen früher einfache Leute, Matrosen, Prostituierte und Bohemiens verkehrten. Maria Severa Onofriana, eine stadtbekannte Dirne, war um 1830 die berühmteste Fadista, die auch Adlige begehrten. Ein Hauch von Verruchtheit lag seither über dem melancholischen Song.

Aus Häusern und Restaurants dringen Fadoklänge. Katia Guerreiro singt leise mit. Die Alfama ist Stimulans. Mit dem ausgeflippten Nightlife-Milieu kann sie sich nicht so recht anfreunden, sagt sie, findet aber, dass sie deshalb keine schlechtere Fadista abgibt. Sie fühlt die Musik, die Poesie, singt mit enormer Intensität und Sentimentalität. „Vielleicht, weil ich Ärztin bin, weil ich die Leiden und Ängste der Menschen verstehe.“

Passanten in der Alfama erkennen sie, grüßen oder nicken ihr einfach freundlich zu. In einer der Gassenecken entdeckt sie ein Fadolokal, das den Namen ihrer ersten CD trägt: Fado Maior. Sie strahlt. Warum diese Frohnatur bloß so traurige Lieder singt? Weil das Leben nun einmal nicht nur fröhlich sei. „Wir können das Gute nur verstehen, wenn wir auch das Schlechte fühlen.“

Das Nationale Pantheon ist ein stolzer Bau, ein Heldentempel. Amália Rodrigues liegt hier als einzige Frau unter den berühmtesten Heroen des Landes. „Es ist das erste Mal, dass ich ihr so nah bin“, gibt Katia am Sarkophag des Idols bewegt zu. In goldenen Lettern ist der Name der großen Fadista im Marmor verewigt, am Boden liegen frische Blumensträuße.

Es ist spät geworden. Die Abendsonne lässt Glanz auf die roten Ziegeldächer fließen, als hätte Lissabon Rouge aufgelegt. In den Straßen gehen bald die gusseisernen Laternen an, wo gäbe es eine bessere Einstimmung auf die Romantik der Nacht – oder ihre Melancholie. Und der Mensch wird sich entscheiden müssen, ob er im Hafenquartier den Fado hört oder ans Flussufer geht, um die Nachtwelt der Docks zu erobern

Woman’s World
© Beate Schümann

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