Seit 1861 empfängt das Hotel Beau-Rivage Palace in Lausanne Gäste – Ein Blick hinter die Kulissen
Vor der Drehtür des Hotels Beau-Rivage Palace in Lausanne liegt ein roter Teppich. Dabei ist es ein ganz normaler Donnerstagnachmittag. Als das Taxi vorfährt, ist ein Page in Livree zur Stelle, der höflich „Bienvenue“ sagt. Ein anderer hebt das Gepäck aus dem Kofferraum. Im Nu ist es auf dem Rollwagen durch die Seitentür entschwunden. Alles läuft wie am Schnürchen.
Die kleine Drehtür des Belle-Époque-Palastes ist das Nadelöhr zum Reich der hohen Erwartungen. Durch diese Tür kommen sie alle, die Prinzen und Prinzessinnen, Bankiers, Plantagenbesitzer und Operndiven. Gratis Champagner steht gekühlt in jedem Zimmer, ein Tellerchen Petit fours - hauseigene Herstellung - und ein Blumenstrauß passend zu den Raumfarben. Im Bad Bulgari-Seife, Superflausch-Bademäntel und eine Doppelbadewanne mit Sprudeldüsen. Die schönsten Suites haben Seeblick, Balkon und sind 90 bis zu 140 Quadratmeter.
Seit 1861 hat das Grandhotel seinen Platz am Ufer des Genfer Sees, schräg gegenüber vom Mont Blanc. 800 Zimmermädchen-, Kellner-, Floristinnen- und Pagenhände sorgen in 169 Zimmern und Suiten dafür, dass der Gast, der zu Hause alles hat, sich wie Zuhause fühlt. Verschwiegenheit ist Ehrensache. Auch dafür lieben Leute wie König Hussein von Jordanien, Prinz Charles, Meryl Streep, Phil Collins und Steffi Graf das Beau-Rivage.
„Oui“, sagt Sylvie Chaperon an der Rezeption mit ihrem gewinnenden Lächeln. „Ja“ ist das Lieblingswort der Chef-Consierge, die diese Männerdomäne 1998 als erste Frau in der Schweiz besetzte. Kaum ein Gästewunsch, den Sylvie und ihr achtzehnköpfiges Team nicht erfüllen. Flugreservierungen und Aspirin gehören zum Standardrepertoire. Die Adressen von Cartier, Gucci, Audemars Piguet und sämtlichen Bankhäusern sagen sie im Schlaf auf. Silvie besorgt Zigarren und Ingwerstäbchen ebenso wie Zweitvillen oder Internatsplätze. Der Bruder eines arabischen Königs bestellte bei ihr jüngst Fruchtbarkeitshormone für Kamele. Sylvie trieb immerhin drei Ampullen auf. Als dann standen Schweizer Kühe auf dem Wunschzettel des Wüstenfürsten standen, musste Silvie jedoch passen. Um keinen Preis der Welt wollten die Almbauern ihre Gescheckten in die Wüste schicken.
Hohe Ansprüche zu haben, ist das gute Recht eines Gastes, findet der zweitwichtigste Mann im Beau-Rivage, Resident Manager Andrés Oppenheim, dessen Haus im August 2002 zum dritten Mal in Folge zum besten Business-Hotel der Schweiz gekürt worden ist. Und Irmgard Müller, die das Grandhotel seit dreißig Jahren leitet und schon viele Hotelbeben gemanagt hat, nennt Beispiele. „Wenn Kaiser Hirohito da ist, darf kein Sandkörnchen ins Getriebe geraten, sonst brechen Katastrophen aus.“ Das Gegenteil ist bei Arabern der Fall. „Außer den fünf Gebeten am Tag ist dann nichts geregelt“, sagt Frau Müller. Sie erinnert sich auch, dass Madame Fox von Century Fox Movie einmal eine Wand aus ihrer Suite herausreißen ließ, um es geräumiger zu haben. Oder die Geschichte mit Juan Antonio Samaranche, der 1990 für König Juan Carlos von Spanien ein Festessen gab. Minuten vor der Vorspeise entschied der Ex-IOC-Präsident, dass er die Tafel lieber im Garten hätte. „Das war eine echte Herausforderung.“ Frau Müller lacht, alles ging glatt.
„Viele Gästewünsche haben wir schnell im Griff, weil wir uns auf Landesgewohnheiten einstellen“, sagt Oppenheim. Der islamische Gast findet einen Gebetsteppich mit Kompass im Zimmer, damit er gleich weiß, wo Mekka liegt. Amerikaner brauchen große Suiten, weil sie mit Bodygard, Nanny und jede Menge Gepäck kommen. Araber brauchen viele Suiten, weil sie mit ihrer ganzen Familie anreisen.
Anweisungen wie das Frühstücksei oder der Toast auszusehen haben. Austern morgens um Vier. Keep Smiling, sagt sich der Kellner. Das persönliche Glück reicht von den Feinheiten der Teezubereitung bis zum gewohnten Griff auf das Silbertablett. Roomservice-Chefin Nathalie Liodenot zupft aus ihrem Karteikasten eine Zeichnung mit detaillierten Regieanweisungen. Da haben Tasse und die Teekanne ihren festen Platz. Manche Sonderwünsche werden bis ins winzigste Detail festgelegt. „Für einige brauche ich mehrere Karteikarten.“ Das fein linierte Papier Natalies kennt alle Launen.
Die meisten Extrawürste bringen jedoch die Chef-Hausdame Carmelita Mastronardi und ihre Housekeeping-Mannschaft auf Trab. Lita, wie alle sie nennen, führt die Equipe der Etagengouvernanten, Zimmermädchen, Portiers, Floristinnen, Näherinnen, Büglerinnen und Putzkolonnen. In ihrem Depot hortet sie Kopfkissen in zehn verschiedenen Größen und Qualitäten, unvorstellbare Mengen, von hart bis ultra-soft, auch Allergikerkissen, Daunenbetten in drei verschiedenen Gewichtsklassen, Matratzen und Fußkeile. Jeder Sonderwunsch wird notiert, damit der Gast beim nächsten Besuch das richtige Kissen automatisch vorfindet.
Eine Karteikarte hat die Primadonna, die im Bad fünfzig verschieden farbige Lippenstifte aufgereiht vorfinden möchte. Und der Diplomat, der Wert darauf legt, dass die Doppelmanschetten offen gebügelt und nicht umgeklappt sind. Auf der Karte eines Leinwandhelden ist vermerkt, dass er immer genau acht Flaschen stilles Wasser einer bestimmten Marke und zehn Wassergläser im Zimmer vorfinden will. Oder die Gräfin, die im Bad zwanzig Handtuch-Sets und Vorleger sowie fünf Paar Pantoffeln und zwei Verlängerungskabel mit vier Anschlüssen benötigt. „Es gibt Sachen, die müssen wir nicht verstehen“, sagt Lita und lächelt weise.
Berliner Zeitung
© Beate Schümann