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4. Kopenhagen, märchenhaft

Er ließ eine wehleidige Prinzessin auf der Erbse schlafen und machte ein hässliches Entlein zum schönen Schwan: Dänemark feiert diese Jahr seinen wohl berühmtesten Dichter Hans Christian Andersen, der vor 200 Jahren geboren wurde. Sein Kopenhagen ist ein Märchen für Kinder und Erwachsene.

Es war einmal ein Dichter, ein Märchendichter. Er wurde als Sohn eines armen Schusters und einer Waschfrau auf der kleinen Ostseeinsel Fünen geboren, ging mit Vierzehn in die weite Welt hinaus, um ein berühmter Sänger zu werden, fand im Dänenkönig einen Gönner und lebte die meiste Zeit seines Lebens mehr oder minder glücklich in Kopenhagen: Hans Christian Andersen.

Nachdenklich blickt die hagere Bronzegestalt mit Zylinderhut heute über den stark befahrenen Boulevard, der nach ihm benannt ist. So sesshaft wie auf diesem Denkmalsockel ist der ruhelose Einzelgänger zeitlebens nie gewesen. Auch in der dänischen Metropole nicht, die ihm den Stoff für viele seiner 168 Märchen lieferte. Hinter dem hohen Zaun auf der anderen Straßenseite verbirgt sich der Tivoli. In dem berühmten Park, den der Märchenfürst mitgestaltet haben soll, drehen seit 1843 zwischen Blumenrabatten, Teichen und Pavillons die Karussells. Ein Vergnügen für Kinder und Eltern, Flaneure und Stressflüchtlinge - so wie der Dichter nicht nur für die Kleinen, sondern für alle Menschen schreiben wollte. Im „Flyvende Kuffert“, der ihm gewidmet ist, saust ein Koffer mit den Passagieren zu 32 Szenen aus Andersens Märchen.

Nein, der verrückte Drachenbrunnen und das originelle Dekor am Rathaus haben ihn nicht inspiriert, weil beide erst nach seinem Tod 1875 entstanden. Selbst der Eisbär auf dem Rathausturm erinnert lediglich daran, dass vom einstigen Kolonialreich nur Grönland als Teil Dänemarks geblieben ist. Doch es gibt am Rådhuspladsen neuerdings eine Tür zu Andersens Phantasiewelten, an „Ripley’s Märchenhaus“. Der letzte Schrei für Leseentwöhnte: Ein Knopfdruck, und eine audio-visuelle Eventshow macht „Prinzessin auf der Erbse“ und viele andere Gestalten aus Andersens Fabelreich lebendig.

Über die mittelalterlichen Märkte Nytorf und Gammeltorv, am Hojbro-Plads und dem Denkmal von Stadtgründer Absalon vorbei, führt der Weg in Andersens  Kopenhagener Anfangszeit. In der Dachkammer der Vingårdstræde No. 6 hatte der Dichter seine Studentenbude, in der Kellerkneipe verliebte er sich mehrmals unglücklich, im Nebenhaus bekam er Gesangsstunden. Die Mansarde, der einzige authentisch erhaltene Wohnort, ist pünktlich zum Andersen-Jahr für Besucher zugänglich gemacht worden. Durch das Giebelfenster können sie dort wie der Studiosus bis zum 36 Meter hohen Runden Turm blicken, den andere heute mühsam ersteigen, um die beste Aussicht auf die Stadt zu haben.

Amagertorv, Strøget und Østergade waren schon damals die Flaniermeilen mit den feinsten Adressen. Ach, wenn man hier nur in Andersens „Galoschen im Glück“ steigen könnte: Alle Wünsche könnten sofort in Erfüllung gehen! Die Østergade mündet in den Kongens Nytorf, einen „hyggelig“ (gemütlichen) Platz, vielleicht den schönsten in Kopenhagen. Zum klassizistischen Ensemble aus Schloss Charlottenborg und Thottschen Palais gehört auch das Königliche Theater, auf dessen Bühne Andersens Stücke erst spät reüssierten. Er war europaweit längst berühmt, als die Kopenhagener Kritiker seine Stücke zerrissen.

Von hier ist der Mastenwald des historischen Hafens Nyhavn zu sehen. Früher das Viertel der Bordelle und Spelunken, heute ein teurer Touristentreff. Allein am Nyhavn zog Andersen viermal um: je zweimal auf der „anrüchigen“ Seite mit den ungeraden und je zweimal auf der „ordentlichen“ Seite mit den geraden Zahlen. In Nyhavn No. 20 schrieb er 1835 seine ersten Märchen, in Nyhavn No. 18 blieb er bis zu seinem Tod.

Ein Abstecher zu Amalienborg, dem Schloss von Königin Margrethe II. An den Toren steht die königliche Leibgarde in schwarzblauen Uniformen und den tief ins Gesicht gezogenen Bärenfellmützen. Selbst bei den verrücktesten Grimassen dürfen ihre Gesichter keine Regung zeigen. Und tatsächlich! Ob der Dichter hier den „Standhaften Zinnsoldaten“ erfand?

Im heutigen Seehafen einige Kilometer weiter ist das Flair der früheren Handelsmacht Skandinavienfähren und Ausflugsdampfern gewichen. In die Speicher am Kai, der Langelinie, sind Hotels und Museen eingezogen. Dort endet auch Andersens literarische Spur: bei der „Kleinen Meerjungfrau“. Wenige kennen das herzzerreißende Andersen-Märchen, doch Hunderttausende pilgern jedes Jahr zu der Bronzenixe. Nachdem sie jüngst geraubt worden war, sitzt Kopenhagens Wahrzeichen nun wieder zierlich auf ihrem Wasser umspielten Felsenplatz. In den letzten vierzig Jahren wurde „Lille Havfrue“ enthauptet, angesägt und geklaut. Wie in Andersens Märchen hat sie auch im richtigen Leben kein rechtes Glück ...

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© Beate Schümann

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